Ist Schummeln ein Kavaliersdelikt?
Hand aufs Herz? Wer hat in seiner Schulzeit nicht selbst den einen oder anderen Schwindelzettel geschrieben und zum Einsatz gebracht? Ich kann mich daran erinnern, mir zwar ein paar geschrieben, – sie aber nie gebraucht und verwendet zu haben – da dies für mich die effektivste Methode war, um mir Stoff einzuprägen.
Vor allem im englischsprachigen Raum erlaubt es der Ehrenkodex vornehmlich an Privatschulen nicht zu schwindeln. Schüler betrachten dies als eine sehr unfaire Methode, um Leistungen vorzutäuschen, die man nicht verdient hat. Und „Schwindler“ werden verachtet.
Über die Jahrzehnte sind die Schwindelversuche hierzulande immer dreister geworden. Mädchen kleben Zettel unter ihre Röcke (wehe dem männlichen Pädagogen, der das aufdeckt!), aber auch WhatsApp Botschaften machen die Runde. Und nicht bei jeder Schularbeit werden verbotene Hilfsmittel aus dem Verkehr gezogen. Es gibt sogar Assistenz von außerhalb der Schule, die zu guten Noten verhilft – Nachhilfelehrer und Verwandte zum Beispiel. Es geht scheinbar ums Überleben und um auszuhelfen, sind auch Erwachsene bereit, illegale Wege zu beschreiten. In der Regel bleiben solche Aktionen unentdeckt, werden anektotenhaft unter Schülern erzählt.
Nun lässt ein Fall in der Steiermark aufhorchen, wo eine Kandidatin bei der heurigen Zentralmatura eine Knopflochkamera vom Typ, der bereits zu Führerscheinprüfungen hätte verhelfen sollen, zum Einsatz brachte. Sie wurde dabei erwischt und der Herbsttermin ist ihr sicher. Mehr als das: die Zeitungen mutmaßen sogar, dass es dafür Haft geben könnte, weil es sich bei der Matura um ein staatliches Examen handelt. Mich erinnert diese Prognose an den Fall eines Mädchens in Villach, das sich mit einem gefälschten Ausweis Zutritt zu einem Nachtklub verschaffen wollte – und aufflog. Vier Jahre bedingte Haft waren die Folge – weil sie noch unbescholten war. Also doch kein Kavaliersdelikt.? Nein, mit Sicherheit nicht.
Es ist richtig, dass strenger kontrolliert wird – vor allem bei abschließenden Prüfungen, die auch mit Qualifikationen und Berechtigungen einhergehen. Am besten vor Beginn einer Prüfung, um Schwindelversuchen vorzubeugen. Auch die Konsequenzen sollten im Vorfeld klar definiert sein. Wobei das Riskieren eines Herbsttermins auch schon abschreckend sein müsste. Eine Schule in Linz bringt sogar einen Metalldetektor bei Eintritt der Kandidaten in den Prüfungsraum zum Einsatz., um den Umlauf von Zweithandys, Smart Watches usw. zu unterbinden, eine andere erlaubt nur Schulkugelschreiber.
Grundsätzlich ist der Druck auf die Maturantinnen und Maturanten schon beachtlich. Und Präventivmaßnahmen in Ordnung – die Prüfungen selbst sollten allerdings in einer angenehmen Atmosphäre abgehalten werden.
Der Prozentsatz der Schüler, die bei abschließenden Prüfungen schwindeln, ist meiner Meinung nach eher gering. Bei Multiple Choice Aufgaben in den Fremdsprachen und in Mathematik sind die aufsichtsführenden Lehrpersonen gefordert, gut aufpassen. In Englisch zum Beispiel bleibt bei der größten Hürde, dem Hörverständnis, allerdings keine Zeit zum Schwindeln. Die Abgabe muss in weniger als einer Minute nach dem Durchlauf einer MP 3 Datei erfolgen – mit Übertragung der Lösungen auf ein Antwortblatt. Das bedeutet für die Kandidaten wirklich enormen Stress - der bei einer Klausur dieses Formats ohnehin sehr groß ist. Ausreichendes Nachdenken sollte ermöglicht werden, ansonsten kommt es ebenfalls zu Verfälschungen bei der Kompetenzermittlung. Aber die Vorgaben kommen vom Ministerium und sind für alle gleich anzuwenden.
Mag sein, dass das Distance Learning das Vertrauen vieler Schüler in sich selbst geschädigt hat und sie dadurch vermehrt zum Schwindeln neigen. Weil sie denken im Gegensatz zu früheren Jahrgängen mehr Defizite durch die Covid-Zeit angehäuft zu haben. Mitnichten, glaube ich. Die Resultate bei der Zentralmatura dürften kaum schlechter als in den letzten Jahren sein. Da nun die schriftlichen Prüfungen vorbei sind, beginnt nun die Vorbereitung auf den mündlichen Teil. Damit hat man dann wieder eine „vollwertige Matura“ in der Tasche. Das schafft Selbstbewusstsein und die Vorbereitung auf diese lenkt vor allem von den anderen „Grauslichkeiten“ ab, die rund um uns passieren. Ein Stück wiedergewonnene Normalität ist das – und das ist gut so!
(23.5.2022)